Die Sicherheitsbestimmungen des Arbeits- und Brandschutzes in Deutschland sind in Betrieben, Behörden und Produktionsstätten allgemein bekannt und etabliert. Gelten die bekannten Maßnahmen und Parameter aber auch noch, wenn der Meetingraum zur Event-Location oder die Kantine zum Versammlungsraum wird? Hier lautet die Antwort meistens: „Nein“. Denn zum Zwecke der Nutzungsänderung greifen andere Vorschriften.
Die alltäglichen Sicherheitsbestimmungen und Anforderungen an Gebäude und Organisation orientieren sich an der regulären Nutzung des Gebäudes und den konkreten Arbeitsbedingungen. Verändern sich Nutzung und Arbeitsbedingungen, verändern sich meistens auch die Anforderungen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
RECHTSGRUNDLAGE KENNEN
Bei Betriebsversammlungen, Tagen der offenen Tür oder Betriebsfesten wird die Arbeitsstätte zur Versammlungsstätte. Dann sind neben den bekannten Arbeitsschutz- und Brandschutzbestimmungen auch die Bestimmungen der jeweiligen Versammlungsstättenverordnungen der Länder zu beachten. Diese können höhere Standards der Lokalität bei den baulichen, technischen und auch organisatorischen Brandschutz- und Sicherheitsmaßnahmen fordern.
Vorrangiges Ziel der MVStättVO ist es, den Personen bei einer Veranstaltung einen bestmöglichen Schutz für Leib und Leben zu gewährleisten und im Falle eines Schadensereignisses durch eine schnelle Evakuierung Schäden an Leib und Leben zu vermeiden.
Wegen der Länderzuständigkeit unterscheiden sich die einzelnen Versammlungsstättenverordnungen inhaltlich an verschiedenen Stellen. Gemeinsam nennen sie aber in § 1 Abs. 1 drei Kriterien, die gleichzeitig erfüllt sein müssen, damit die Verordnung Anwendung findet:
Der Anlass oder die Art der Veranstaltung und das mit ihr verbundene Gefährdungspotential sind bei dieser ersten grundsätzlichen Bewertung unerheblich.
Die MusterversammlungsstättenVO (MVStättVO) ist Grundlage der jeweiligen Länderverordnungen. Sie ist die zentrale Vorschrift für Veranstaltungen in Versammlungsstätten in Deutschland. Die MVStättVO enthält wichtige rechtliche Vorgaben für die Organisation und Durchführung von Veranstaltungen in Versammlungsstätten und setzt relevante technische und organisatorische Sicherheitsstandards. Zum Inhalt zählen sowohl Bau- als auch Betriebsvorschriften für die sichere Durchführung einer Veranstaltung. Sie gilt überall dort und ist zwingend anzuwenden, wo sich viele Menschen zu einer Veranstaltung treffen.
Definition „Veranstaltung“: Eine Veranstaltung ist „ein zeitlich begrenztes und geplantes Ereignis mit einer definierten Zielsetzung oder Absicht, einer Programmfolge mit thematischer, inhaltlicher Bindung oder Zweckbestimmung in der abgegrenzten Verantwortung eines Veranstalters, einer Person, Organisation oder Institution, an dem eine Gruppe von Menschen teilnimmt".
Oberlandesgericht Düsseldorf: Urteil vom 01.07.2014, 1-20 U 131/13
BERÜCKSICHTIGUNG DER SCHWELLENBERECHNUNGEN BEI DER PERSONENANZAHL
Veranstaltungen können in Gebäuden oder im Freien stattfinden. Veranstaltungen unter freiem Himmel sind jedoch nicht so einfach zu definieren. Hier bestehen erhebliche Unterschiede in der Rechtsauslegung der Bundesländer. Zusätzlich ist hier oftmals die Richtlinie über fliegende Bauten (z. B. bei Festzelten) zu beachten.
In Gebäuden findet die MVStättVO immer dann Anwendung, wenn für eine Veranstaltung Räume genutzt oder geschaffen werden, die eine rechnerische Besucherkapazität von mehr als 200 Personen haben (§ 1 MVStättVO). Im Freien oder in Sportstadien erhöht sich der Schwellenwert auf 1.000 bzw. 5.000 Personen.
Der Schwellenwert berechnet sich nach § 1 Abs. 2 Sonderbauverordnung:
Bei den Berechnungen ist nur die für die Besucher zugängliche Fläche zu berücksichtigen – also beispielsweise keine Bühnenfläche oder Buffetrückseite. Organisatorische Beschränkungen durch den Betreiber oder Veranstalter sind nicht zulässig. Es kommt also nicht darauf an, für wie viele Personen eine Veranstaltung organisiert wird, sondern nur darauf, für wie viele Personen das möglich wäre. Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung.
Verfügt ein Gebäude über mehrere Räume, die gemeinsame Fluchtwege haben, dann müssen die einzelnen Kapazitäten addiert werden, auch wenn nur ein Raum genutzt wird. Ausgenommen hiervon sind Räume, bei denen sich aufgrund einer niedrigeren Begrenzung aus den Bauvorlagen ein Volumen von unter 200 Personen ergibt (gilt nur in einigen Bundesländern).
Es gibt die Mengenberechnung, dass die MVStättVO anzuwenden ist, folgen daraus besondere technische Bauanforderungen. Diese haben ein besonderes Augenmerk auf den Brandschutz, bieten aber auch weitere technische Anforderungen, wie z. B. zur Bestuhlung und deren Aufbau. Zusätzlich definiert die MVStättVO aber auch besondere Betriebsvorschriften, die über die technischen Anforderungen hinausgehen und den sicheren Umgang mit der Versammlungsstätte gewährleisten sollen. Hier geht das Themenspektrum von Barrierefreiheit über organisatorische Maßnahmen der Brandverhütung, besondere Verantwortungen bis zu einem möglichen (Veranstaltungs-)Sicherheitskonzept.
Rettungswege und Fluchttüren spielen in der MVStättVO eine besondere Rolle. Sie sind mit einer Mindestbreite von 1,20 Metern nicht nur breiter als die aus dem Arbeitsschutz bekannten Fluchtwege, sie haben auch entscheidenden Einfluss auf die Frage, wie viele Besucherinnen und Besucher in einer Versammlungsstätte zugelassen werden dürfen.
Die Berechnung nach § 1 Abs. 2 MVStättVO gibt nur eine Antwort darüber, ob die MVStättVO anzuwenden ist. Dagegen liefern die Dimensionen der Rettungswege und Fluchttüren die Berechnungsgrundlage für die konkrete zulässige Höchstzahl an Gästen bei einer Veranstaltung. Diese Zahl kann u. U. die nach § 1 Abs. 2 MVStättVO errechnete Zahl auch deutlich unterschreiten. In diesem Fall hat der Veranstalter organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um eine Überfüllung (gemessen an den Dimensionen der Flucht- und Rettungswege) zu vermeiden. Die höchst zulässige Besucherzahl berechnet sich nach der Formel:
SB : MB x 200 = Personen max.
(SB = Summe Rettungswegbreiten; MB = Mindestbreite)
TEMPORÄRE VERSAMMLUNGSSTÄTTEN
Für nur temporär als Versammlungsstätte genutzte Gebäude oder Gebäudeteile können für einzelne technische Vorgaben Ausnahmen bei der zuständigen Bauaufsicht beantragt werden. Einzelne Bundesländer haben entsprechende Klauseln in ihren VStättVO, in anderen Ländern wird über temporäre Versammlungsstätten auf lokaler Ebene nach eigenen Vorgaben entschieden. Dabei können die Anforderungen von Kommune zu Kommune stark variieren.
BETREIBERPFLICHTEN FÜR VERANSTALTUNGEN
Unter den Betriebsvorschriften hat § 38 MVStättVO einen besonderen Stellenwert. Er definiert die besonderen Pflichten von Betreiber und Veranstalter und öffnet die Möglichkeiten einer (teilweisen) Delegation dieser Pflichten auf einen Veranstaltungsleiter.
Bei der Einsetzung eines Veranstaltungsleiters ist besonders darauf zu achten, dass die Delegation schriftlich erfolgt und die genauen Aufgaben und Kompetenzen beschreibt. Grundsätzlich darf eine Delegation nur an fachlich geeignete Personen erfolgen, obwohl die MVStättVO keine Qualifizierungsansprüche an die Position stellt. Die einschlägigen Bestimmungen des Arbeitsschutzgesetzes und der DGUV-Vorschriften zur Übertragung von Aufgaben sollten hier im Interesse der Rechtssicherheit aller Beteiligten beachtet werden.
Auf ZWEI WICHTIGE PFLICHTEN aus § 38 Abs. 2 und 4 MVStättVO SEI AN DIESER STELLE BESONDERS HINGEWIESEN: Leitung und Aufsicht ist nur in ständiger Präsenz möglich. Außerdem besteht eine zwingende Verpflichtung, den Betrieb einzustellen, wenn die notwendigen Sicherheitseinrichtungen der Versammlungsstätte nicht betriebsfähig sind oder wenn die Betriebsvorschriften nicht eingehalten werden können. § 38 sieht hier keinen Ermessensspielraum vor.
Verstöße gegen die MVStättVO können teuer enden. Die MVStättVO ermöglicht den Aufsichtsbehörden die Verhängung hoher Bußgelder im fünf- bis sechsstelligen Bereich. Nehmen Sie bereits frühzeitig mit der zuständigen Kommunalverwaltung Kontakt auf. Die Genehmigungsverfahren können lange Vorlaufzeiten haben. Bei Veranstaltungen in Gebäuden ist die Bauaufsicht zuständig, bei Veranstaltungen unter freiem Himmel häufig das Ordnungsamt. Viele Kommunen sind zusätzlich den Anregungen verschiedener Landesregierungen (u. a. dem Orientierungsrahmen für Veranstaltungen des Ministeriums des Innern des Landes NRW) gefolgt und haben zentrale Ansprechpartner als erste Anlaufstelle für Veranstaltungen eingerichtet.
DGUV-INFORMATION 215-310, ABS. 2.1, SEITE 15: Eine gesamtverantwortliche Person des Veranstalters ist eine zuverlässige und fachkundige Person, die die Veranstaltung und Produktion leitet und beaufsichtigt.
Dieser Artikel ist mit freundlicher Unterstützung von Holger Gerdes entstanden – Verwaltungsleiter an der Fortbildungsakademie des Ministeriums des Innern NRW und Dozent für das Themenfeld „Veranstaltungsorganisation und Veranstaltungssicherheit."