Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter
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Artikel zum Thema Reisesicherheit: Leitfaden zur Erstellung einer Gefährdungsbeurteilung
Risikomanagement für berufliche Reisen ist nicht Kür, sondern Pflicht!
Jeder, der sich in fremde Regionen und ferne Länder begibt, weiß: Wer auf Reisen geht, ist auch Gefährdungen ausgesetzt. Sicherheitsbeauftragte und Personalverantwortliche stehen vor der Aufgabe, diese Gefährdungen auf ein Mindestmaß zu reduzieren, wann immer ein Mitarbeiter des Unternehmens eine Dienstreise plant. Die International SOS Stiftung hat den ersten praktischen Leitfaden für Gefährdungsbeurteilungen im Bereich von Auslandsreisen und Entsendungen herausgebracht.
Gefährdungsbeurteilungen sind in Deutschland in der Arbeitssicherheit weit verbreitet und gängige Praxis. Nur für den Bereich Geschäftsreisen bzw. Auslandsaufenthalte fehlte ein solcher Standard bisher. Der Leitfaden der International SOS zeigt: Diese Beurteilungen sind ein Muss und brauchen ein systematisches, abteilungsübergreifendes Vorgehen.
Es sind meist einzelne Ereignisse, die das allgemeine Sicherheitsempfinden auf Reisen bestimmen. Medienberichte über Flugzeugabstürze oder Anschläge halten sich tagelang und verunsichern Auslandsreisende. Insbesondere die Reaktion von Reiseveranstaltern, Reisen abzusagen, oder Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes verunsichern zunehmend.
Für Reisende steht Jahr für Jahr ein ganz alltägliches Thema ganz oben auf der Liste der Gefährdungen: Straßenverkehrsunfälle. Sie gehören zu den fünf häufigsten Ursachen für Evakuierungen, die International SOS Stiftung im Zusammenhang mit beruflichen Auslandsaufenthalten abwickelt. Anders gesagt: Wer als Sicherheitsbeauftragter, Personalverantwortlicher oder Betriebsarzt für die Sicherheit und Gesundheit von Reisenden verantwortlich ist, muss nicht in erster Linie das große weltpolitische Rad drehen. Sondern sich vor allem um den Alltag kümmern – nicht zuletzt um die Verkehrsregeln und Verkehrsgewohnheiten im Zielland. Es kann daher beispielsweise sinnvoll sein, für einen Mitarbeiter spezielle Fahrstunden zu organisieren, der für längere Zeit in eines der weltweit 59 Länder und Gebiete mit Linksverkehr entsandt wird.
Bisher fehlte in Deutschland ein umfassender Überblick, welche Gefährdungen ein verantwortungsbewusster Arbeitgeber prüfen sollte, bevor Reisen geplant werden. Dieser Herausforderung hat sich die International SOS Stiftung gemeinsam mit namhaften Partnern gestellt und einen Leitfaden entwickelt, der Unternehmen dabei unterstützt, Gefährdungen bei Auslandsaufenthalten bewerten zu können. Mit dem „Leitfaden zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung – Berufliche Auslandsreisen und Entsendungen“ liegt erstmals eine verlässliche Richtschnur vor. Zu Beginn steht die Definition der Arbeitsbereiche/Tätigkeiten, die im Ausland vorgesehen sind sowie die Ermittlung möglicher Gefährdungen. Die einzelnen Aspekte werden bewertet und entsprechende Maßnahmen definiert, vorbereitet, implementiert und somit umgesetzt. Dies kann von allgemeinen Regelungen bis hin zu konkreten Reisevorschriften für einzelne Ziele reichen. Anschließend erfolgt der Regelbetrieb mit der Überprüfung der Wirksamkeit einzelner Maßnahmen und der Fortschreibung der Beurteilungen. Es ist von großer Bedeutung, stets auf aktuelle Informationen zuzugreifen und auf sich ändernde Gefährdungen zu reagieren, schließlich kann sich ständig und sehr schnell die Situation vor Ort ändern.
WELCHE GEFÄHRDUNGEN MÜSSEN BETRACHTUNG FINDEN?
WER REIST?
Geschlecht, Nationalität, Religion und sexuelle Orientierung spielen eine klare Rolle. Aber auch die Physis der Reisenden ist wichtig (Alter, körperliche Einschränkungen, Medikamentenbedarf) sowie die geschäftliche oder gesellschaftliche Stellung. Alle Faktoren haben Auswirkung darauf, wie Reisende am Reiseort wahrgenommen werden. Gleichzeitig beeinflussen allgemeine Reiseerfahrungen, Kenntnisse des jeweiligen Kulturraums und der Sprache, wie Reisende ihre Umgebung wahrnehmen und sich verhalten.
IN WESSEN AUFTRAG WIRD GEREIST?
Welchen Ruf genießt das Unternehmen in dem Zielland, gibt es eventuell bekannte Vorbehalte oder sogar Aversionen? Vertriebsmitarbeiter in Büros sind zudem anderen Risiken ausgesetzt als zum Beispiel Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NGO), die auf politische Empfindlichkeiten und kulturelle Besonderheiten treffen.
WANN UND WIE LANGE WIRD GEREIST?
Fallen religiöse, kulturelle oder politische Ereignisse, bestimmte Feiertage, Jahrestage oder Wahlen, eine Sturmsaison oder eine Weltmeisterschaft in den Reisezeitraum? Sehen Sicherheitslage oder Verkehrssituation anders aus als während einer ereignisarmen Periode?
WOHIN WIRD GEREIST?
Das fängt mit dem Entwicklungsstand des Landes an, zum Beispiel dem Vorhandensein und der Ausstattung von Krankenhäusern und Rettungssystemen – wo liegen die Krankenhäuser, wie sind die Zahlungsmodalitäten? Reisen in urbane Zentren brauchen andere Vorbereitungen als solche in abgelegene ländliche Regionen. Sind U-Bahnen, Taxis oder Chauffeurservices die Fortbewegungsmittel der Wahl? Ist der Zielort von Kriminalität oder Extremismus betroffen? Bestehen durch feuchtheißes Klima, dünne Höhenluft oder Smog besondere Herausforderungen an Fitness und Gesundheit der Reisenden? Drohen übertragbare Krankheiten (Malaria, Typhus, Masern, Aids usw.) oder Gifttiere?
Zu den möglichen Maßnahmen zählen aktuelle Informationen und Verhaltenshinweise zum Zielgebiet, die den Reisenden nahegebracht werden müssen, ebenso wie die Auswahl der Unterkünfte und Verkehrsmittel. Die arbeitsmedizinische Vorsorge stellt fest, ob ein Reisender gesund und fit genug ist für Klima und Reisegebiet. Eine Übersicht über Medikamente und Untersuchungen, die während der Reisedauer nötig sind, hilft dabei festzulegen, wie die Reiseapotheke bestückt wird (ob Einfuhrbestimmungen vorliegen) und was am Zielort beschafft werden kann.
Auch organisatorisch sind einige Entscheidungen zu fällen:
Reichen allgemeine Informationen?
Braucht es konkrete Reiserichtlinien und Schulungen?
Welche Versicherungen sollten abgeschlossen werden?
Ist das Unternehmen technisch gut ausgestattet?
Zum Beispiel mit digitalen Lösungen zur Erfassung verschiedener Reisedaten sowie mit Tracking- und Ortungssystemen, um mobile Mitarbeiter schnell zu lokalisieren und somit kontaktieren zu können.
Eine wohldurchdachte Gefährdungsbeurteilung sorgt nicht nur für den „peace of mind“, also für die Gewissheit, alles Notwendige und Mögliche getan zu haben, sondern bringt auch handfeste ökonomische Vorteile: „Nur wenn die Mitarbeiter das Gefühl haben, dass wir ihnen zur Seite stehen und ihre Sorgen und Bedürfnisse bei Reisen in Risikoländer ernst nehmen, wird es uns gelingen, weiterhin Personal für Auslandeinsätze zu gewinnen“, sagt zum Beispiel Mathieas Kohl, Leiter Versicherungen beim Medizin- und Sicherheitstechnik-Spezialisten Drägerwerk AG & Co. KGaA.
Den „Leitfaden zur Erstellung der Gefährdungsbeurteilung – Berufliche Auslandseinsätze und Entsendungen“ hat die International SOS Stiftung gemeinsam mit drei namhaften Partnern erarbeitet und herausgegeben: der Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI), dem Gesamtverband der versicherungsnehmenden Wirtschaft (GVNW) und dem Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.