Bundesverband Deutscher Sachverständiger und Fachgutachter
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Interview mit Dennis Vosteen Mitautor des Leitfadens „Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen (BaSiGo)“
Dennis Vosteen ist ausgebildeter Zugführer von Einsatzeinheiten, Rettungssanitäter und Feuerwehrmann und derzeit als Sicherheitsberater in München tätig. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter hat er bei der Branddirektion München am Forschungsprojekt „BaSiGo - Bausteine für die Sicherheit von Großveranstaltungen“ mitgearbeitet und ist einer der Hauptautoren des Standardwerks „Veranstaltungssicherheit“, das vom Bayerischen Innenministerium zur Anwendung empfohlen ist.
BEI VERANSTALTUNGEN EGAL WELCHER ART GILT NACH AUFFASSUNG DES BUNDESGERICHTSHOFS: „DIE SICHERHEIT DER BESUCHER HAT ABSOLUTEN VORRANG VOR WIRTSCHAFTLICHEN INTERESSEN DES VERANSTALTERS“. WER MUSS SICH BEI EINER VERANSTALTUNG UM SICHERHEITSASPEKTE KÜMMERN?
Grundlegend ist jeder Veranstalter für die eigene Veranstaltung verantwortlich. Hierzu gehört natürlich – unabhängig von der Größe der Veranstaltung – das Thema Sicherheit. Veranstalter kann eine natürliche oder eine juristische Person sein. Handelt es sich um eine juristische Person wie ein Unternehmen oder einen Verein, muss festgelegt werden, welche natürliche Person den Veranstalter vertritt. Die Vorstandsvorsitzende oder der Sachbearbeiter werden dann explizit als Veranstaltungsleitung benannt. Die Veranstaltungsleitung übernimmt die Rechte und Pflichten für die Veranstaltung. Eine Veranstaltungsleitung kann auch extern vergeben werden. Es muss jedoch bedacht werden, dass diese immer erster Ansprechpartner der Behörden bei Fragen in Bezug auf die Veranstaltung ist und ggf. nicht von Anfang an in der Ideen-, Planungs- und Umsetzungsphase eingebunden war. Dies kann zu Wissensverlusten führen. Neben der Sicherheit ist der Veranstalter ebenfalls verpflichtet, den Arbeitsschutz für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sicherzustellen bzw. auf dessen Einhaltung bei Subunternehmen zu achten. Sollte die Veranstaltung in einer baulichen Anlage stattfinden, ist der Betreiber dieser Anlage für die Sicherheit mitverantwortlich. Insbesondere ist der Betreiber in seiner Örtlichkeit für die notwendigen Anlagen, Einrichtungen oder Vorrichtungen verantwortlich und muss intervenieren, wenn diese nicht betriebsfähig sind oder Betriebsvorschriften nicht eingehalten werden. Allerdings kann diese Betreiberverantwortung an den Veranstalter abgegeben werden. Letztlich sind die Besucherinnen und Besucher für ihre eigene Sicherheit verantwortlich. Sie sollten beispielsweise bei hohen Temperaturen ausreichend (alkoholfreie) Getränke zu sich nehmen, sich der Witterung entsprechend kleiden oder auf einem Volksfest festes Schuhwerk den Flipflops vorziehen. Der Veranstalter kann dieses Verhalten in Besucherinformationen beeinflussen, indem er darauf hinweist (Einladungen, Ankündigungen, Auftritte in sozialen Netzwerken, Aushang von „Veranstaltungsregeln“ etc.), sollte aber grundsätzlich mit arglosen Besuchern rechnen.
UNFÄLLE UND SICHERHEITSRELEVANTE EREIGNISSE KANN ES BEI JEDER ART UND GRÖSSE VON VERANSTALTUNGEN GEBEN. IST ES DAHER NICHT ESSENTIELL, DASS SICH ALLE DIE FRAGE NACH SICHERHEITSASPEKTEN IM BEREICH DER ABWEHR VON DURCH ÄUSSERE EINWIRKUNG VERURSACHTE GEFAHREN STELLEN?
Grundsätzlich sollte jeder Mensch im alltäglichen Leben auf seine eigene Sicherheit achten und in der Lage sein, anderen Menschen zu helfen, beispielsweise bei einem Unfall. Bei einer Veranstaltung bleibt diese Verantwortung dennoch beim Veranstalter: Der Veranstalter muss dafür sorgen, dass alle Menschen die Veranstaltung sicher erleben können und sich im Notfall schnell selbst retten können. Sollte die Selbstrettungsfähigkeit nicht mehr vorhanden sein, muss der Veranstalter dafür Sorge tragen, dass einer betroffenen Person geholfen wird. Wichtig für den Veranstalter ist daher die richtige Auswahl von Dienstleistern, die auch entsprechende Erfahrungswerte mit der Veranstaltungsgröße haben sollten. Darüber hinaus kann sich ein Veranstalter das Leben stark erleichtern, wenn er frühzeitig mit den beteiligten Akteuren plant. Es bleibt dann genug Zeit, Probleme gemeinsam anzugehen und die einzelnen Akteure wissen, an wen sie sich bei sicherheitsrelevanten Fragestellungen wenden können.
ZIELT DIESE SICHERHEIT AUF DEN EINZELNEN ODER DIE GESAMTHEIT AB?
Sicherheit bezieht sich immer auf die Gesamtheit der anwesenden Personen - es gibt keine Besucher 1. und 2. Klasse oder einen Unterschied zwischen Besuchern und Mitarbeitern. Dennoch kann der Veranstalter - ggf. in Abstimmung mit den Genehmigungsbehörden - für sich definieren, was tolerierbar ist. Bei einem Stehempfang eines mittelständischen Handwerksunternehmens mit 50 Personen bedarf es in der Regel keines Sanitätsdienstes. Sollte ein Besucher medizinische Hilfe benötigen, kann dies durch Ersthelfer und Erste-Hilfe-Material (z. B. KFZ-Verbandskasten) sichergestellt werden. Das Eintreffen des Rettungsdienstes kann allerdings - je nach Region - bis zu 15 Minuten dauern. Ist dies tolerierbar? In der Regel schon. Handelt es sich jedoch um einen Stehempfang der Vorstandsvorsitzenden der im DAX vertretenen Unternehmen, sollte aufgrund der möglichen Auswirkungen schnell qualifiziertes Personal anwesend und somit vor Ort sein. Ebenfalls muss die Außenwirkung betrachtet werden: Kommt bei einem Volksfest an einem Abend mehrmals der Rettungsdienst, um Patienten abzuholen, wird dies allgemein als normal angesehen. Sollte es sich um eine Unternehmensfeier in der gleichen Größe und mit Kindern handeln, ist die öffentliche Bewertung anders. Letztlich muss jeder Veranstalter - losgelöst von eventuellen Auflagen einer Behörde - Kosten und Nutzen abwägen. Oftmals sind die Kosten allerdings gar nicht so hoch wie befürchtet und die negativen Auswirkungen bei Schadenseintritt sehr viel höher.
WIE VIEL VERANSTALTUNGSSICHERHEIT IST AUS IHRER SICHT SINNVOLL?
Das Ziel muss immer sein, Veranstaltungen zu ermöglichen, anstatt sie zu verhindern. Ermöglichen bedeutet, dass die Menschen die Veranstaltung „sicher“ erleben können. Gefährdungen dürfen nicht ignoriert werden und im Fall der Fälle muss diesen zielgerichtet begegnet werden können. Die beste Form zu ermitteln, was „sinnvoll“ ist, ist eine Gefährdungsanalyse durchzuführen. Ein großes Wort, aber im Prinzip bedeutet es nur „Was kann passieren?“ und „Wie wahrscheinlich ist das Risiko, dass es eintritt?“. In einem zweiten Schritt müssen dann die Fragen gestellt werden „Was sind die Auswirkungen, wenn es passiert?“ und „Wie reagiere ich, wenn es passiert?“. Gerade für eine Gefährdungsanalyse und ein daraus folgendes Sicherheitskonzept kann ein externes Beratungsunternehmen unterstützend tätig werden. Allerdings gibt es eine Vielzahl an Anbietern mit unterschiedlichsten Ausbildungen und Erfahrungswerten. Es sollte daher unbedingt auf die Referenzen sowie die Erfahrungswerte und das Ausbildungsprofil der Berater des Unternehmens geachtet werden.
WELCHE GEFAHREN UND ENTWICKLUNGEN SEHEN SIE KÜNFTIG FÜR VERANSTALTUNGEN?
Die Sicherheit von Veranstaltungen ist ein Thema von allgemeingesellschaftlicher Relevanz - nahezu jeder Mensch besucht jedes Jahr die unterschiedlichsten Veranstaltungen. Das Gefühl des gemeinsamen Erlebens ist ein Trend, so dass immer neue Ideen für Veranstaltungen entstehen. Die Geschehnisse bei der Loveparade in Duisburg haben das Thema Veranstaltungssicherheit auf die politische Agenda und durch die Medien in das Bewusstsein der Bevölkerung gerückt - in der Folge konnten bereits viele Verbesserungen erreicht werden. Als Gefahr sehe ich, dass zum einen die Geschehnisse von Duisburg in Vergessenheit geraten könnten und dem Thema Sicherheit nicht mehr die notwendige Aufmerksamkeit zuteilwird. Zum anderen, dass das Thema Sicherheit immer nur für Großveranstaltungen gesehen wird. Genauso wichtig sind aber die Veranstaltungen mit weniger Personen, die aber natürlich nicht den Aufwand und Umfang einer Großveranstaltung erfordern.
WELCHER SICHERHEITSRELEVANTEN FRAGESTELLUNG GILT ES SICH VOR VERANSTALTUNGSBEGINN ZU STELLEN?
Die wichtigste Frage am Beginn aller sicherheitsrelevanten Überlegungen ist: „Wer macht was wann und warum?“ oder anders gesagt: Am Anfang ist es immer das Wichtigste, die Aufgaben und Zuständigkeiten klar zu benennen und dies zu kommunizieren - am besten schriftlich. Begrifflichkeiten müssen darüber hinaus klar definiert werden - es soll schließlich jeder wissen, was die Aufgaben des „chief security supervisor on duty“ sind oder was mit dem „Ausgang Nord 1“ oder den „Feuerlöschgerätschaften am Schuppen 5“ gemeint ist.
HAND AUFS HERZ: SICHERHEIT SOLLTE ALSO BEI JEDER ART VON VERANSTALTUNG GRUNDSÄTZLICH BEDACHT WERDEN.