Jede Führungskraft stand bereits vor dieser Frage, insbesondere nach Situationen, die nicht den gewünschten Verlauf nahmen. Lassen Sie sich gerne auf ein Gedankenspiel ein: Überlegen Sie für sich persönlich, wie Sie Krisensituationen anders oder besser begegnen möchten.
BEGINNEN WIR MIT UNSEREM GEDANKENSPIEL
Nehmen wir an, Sie sind „Chief Operation Manager“ und in der disziplinarischen Verantwortung für ein vierköpfiges IT-Team in einem kleinen Unternehmen. Die IT ist das Herzstück des Betriebs, denn ohne sie steht fast alles still. Ihr IT-Team zeichnet sich durch hervorragende fachliche Abstimmung und Organisation aus – fachlich sind Sie grundlegend informiert, können aber nicht operativ unterstützen.
DIE SITUATION
Die 4 Kollegen befinden sich eines Morgens auf der Heimreise von einem IT-Kongress, als Ihr Telefon klingelt: Das Auto ist in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt. Bevor Sie nähere Details erfragen können, bricht die Verbindung ab und der Anschluss ist nicht mehr erreichbar.
Wie reagieren Sie jetzt als Verantwortlicher für dieses Team?
NEHMEN SIE SICH EINEN MOMENT ZEIT UND ÜBERLEGEN SIE, WIE SIE MIT DER SITUATION UMGEHEN!
Wir alle tragen Bilder und Vorstellungen zu schweren Verkehrsunfällen in uns – geprägt durch persönliche Erlebnisse, Erzählungen von Familie, Freunden und Bekannten, durch Berichte in Zeitungen, Filmen oder Medienbeiträgen.
Ihnen liegt keine Information zum Gesundheitszustand und dem Ausmaß der Verletzungen vor. Das Einzige, was sicher scheint: Ihre IT-Abteilung ist für heute und wahrscheinlich auch für die nächste Zeit personell nicht einsatzfähig.
In dieser Situation kommt es nicht allein auf die etablierten Strukturen und Prozesse des Business Continuity Managements oder des Notfall- und Krisenmanagements an. Im Idealfall greifen Sie auf den vorbereiteten Notfallplan für „schwerwiegende Arbeitsunfälle“ oder den „Ausfall von Schlüsselpersonal“ zurück, ausgestattet mit einem Plan B, einer Ressourcenübersicht, relevanten Kontaktdaten und detaillierten Kommunikationsplänen. Doch in der Praxis zeigt sich oft, dass solche theoretischen Vorbereitungen an ihre (emotionalen) Grenzen stoßen.
REAKTION IN KRISENEREIGNISSEN
In der Realität werden wir persönlich tief berührt, denn eine solche Nachricht kann einen Schock auslösen und die Angst vor schweren Verletzungen oder sogar dem Tod der Betroffenen beherrscht unsere Gedanken. Diese unmittelbare emotionale Reaktion kann dazu führen, dass wir uns in unserer Rolle als Führungskraft, von der erwartet wird, die Situation zu meistern, vorübergehend handlungsunfähig fühlen.
Dass man sich in solchen Momenten vorübergehend handlungsunfähig fühlt, ist vollkommen normal und sollte keinesfalls ignoriert werden. Die entscheidende Frage lautet:
oder
Jeder von uns reagiert anders auf derartige (emotionale) Situationen. Dies ist bedingt durch unsere individuellen Lebenswege, Erfahrungen und die eigene Persönlichkeit.
Dementsprechend ist auch der Pfad zu mehr Stabilität und souveränem Handeln ganz individuell und höchst persönlich.
Als besonders hilfreich empfinden viele z. B. die „4-A-Strategie“ in akuten Situationen. Diese Methode wurde vom Psychologen Prof. Dr. Gert Kaluza entwickelt und bietet praktische Ansätze, um in schwierigen Momenten handlungsfähig zu bleiben oder zu werden.
Auch als Krisenstabsmitglied ist der erste Impuls, zum Ort des Geschehens zu eilen, um sich einen Überblick zu verschaffen, oftmals nicht der Richtige. Es ist entscheidend, emotional so viel Abstand wie möglich zu wahren und sich auf jene Aspekte zu konzentrieren, die Sie direkt beeinflussen können.
DIE „4-A-STRATEGIE“ FÜR DIE EIGENE HANDLUNGSFÄHIGKEIT IN AKUTSITUATIONEN
Diese Strategie unterstützt Sie dabei, in Krisensituationen nicht nur zu reagieren, sondern proaktiv und besonnen zu handeln, wodurch Sie nicht nur Ihre eigene Resilienz stärken, sondern auch die Ihres Teams.
ANNEHMEN: Nehmen Sie die Situation so an wie sie ist und akzeptieren Sie sie. Im aktuellen Beispiel bedeutet das, zu erkennen, dass Sie keinerlei Verantwortung für den Unfall tragen (auch wenn Sie den Kollegen zum Kongress geraten haben) – er ist passiert und die betroffenen Personen erhalten bereits Hilfe.
ABKÜHLEN: Emotionalen Abstand gewinnen. Auch wenn dies sehr theoretisch klingen mag, lässt es sich praktisch umsetzen – etwa durch ein trainiertes Atemmuster. Einige tiefe Atemzüge können helfen, sich zu zentrieren. Fokussieren Sie sich auf die Sachebene: Sie können bezüglich des Unfalls nichts ändern oder tun, also konzentrieren Sie sich auf das, was Sie in Ihrem Betrieb direkt beeinflussen können.
ANALYSIEREN: Mit dem gewonnenen Abstand ist es nun möglich, die Situation sachlich zu analysieren. Was ist genau passiert? Welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Auf dieser Grundlage können Sie Entscheidungen treffen und Maßnahmen veranlassen.
Stellen Sie sich an dieser Stelle nochmal die Frage:
AKTION ODER ABLENKUNG: Entscheiden Sie, ob Handlungsbedarf besteht oder nicht. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, die Maßnahmen umzusetzen, für die Sie verantwortlich sind, und die entsprechende Kommunikation zu leiten.
Wenn diese Strategie effektiv sein soll, muss im Vorfeld gründlich geübt werden. Nur so kann sie in einer akuten Krisensituation greifen und die Handlungs- sowie Entscheidungsfähigkeit maßgeblich voranbringen.
Es ist dabei von großer Bedeutung, das Verarbeiten der eigenen Emotionen und Eindrücke nicht zu vernachlässigen. Auch wenn dies zunächst nachgelagert erscheint, ist es essenziell, dass diesen Aspekten im Nachgang ausreichend Raum – im Sinne der psychosozialen Nachbereitung von Krisen – gegeben wird.
DIE EIGENE WIRKUNG IN KRISENSITUATIONEN
Mit Hilfe dieser Strategie werden Sie handlungsfähig – doch wie wirken Sie? Souveränität und Authentizität sind hier die Schlüsselbegriffe. Es mag einfach klingen, aber die Umsetzung ist oft komplex.
Was bedeutet das konkret für Sie? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um zu reflektieren, wie Sie in solch einer Situation agieren und wirken möchten…
EMOTIONALE VERFASSUNG:
Wie fühlen Sie sich? Fühlen Sie sich der Situation gewachsen?
INNERE GEDANKEN:
Welche Gedanken beschäftigen Sie in dieser Situation?
ÜBERFORDERUNG:
Gibt es Aspekte der Situation, die Sie überfordern?
KOMMUNIKATION:
Was planen Sie zu sagen und wie werden Sie es kommunizieren? An wen richten Sie Ihre Worte?
WAHRNEHMUNG:
Wie möchten Sie von anderen wahrgenommen werden?
EMOTIONALE OFFENHEIT:
Sie sind immer noch schockiert und besorgt um die Verunglückten – ist es angebracht, diese Gefühle zu zeigen?
EHRLICHKEIT BEI UNSICHERHEITEN:
Momentan sehen Sie keine Lösung, um den fachlichen Ausfall zu kompensieren – sollten Sie das Ihrer Belegschaft gegenüber offen kommunizieren?
Der Ansatz, sich als Mensch zu zeigen, bildet ein solides Fundament für wirkungsvolles Handeln und Führen, insbesondere in Situationen, die uns an unsere Grenzen bringen. Dabei spielen das Selbst- und Emotionsmanagement eine zentrale Rolle. Es ist nicht nur akzeptabel, sondern auch wichtig, Emotionen zu zeigen, die vorhanden sind – solange sie nicht die Oberhand gewinnen und unsere Entscheidungsfähigkeit oder die Kontrolle über die Situation beeinträchtigen.
Zugleich ist es von großer Bedeutung, offen einzugestehen, wenn man nicht alle Antworten hat oder momentan keine Lösung parat ist. Dies zeigt keine Schwäche auf, sondern vielmehr die Bereitschaft, gemeinsam mit dem Team die Situation zu bewältigen und nach Lösungen zu suchen. Die Überzeugung, dass man die Situation gemeinsam meistern wird und dass es einen Weg zum positiven Ausgang gibt – unabhängig davon, wie „gut“ sich dieser Ausgang gestaltet – strahlt Optimismus und Zuversicht aus. Diese positive Ausstrahlung ist das Ergebnis Ihrer Selbstwirksamkeit, der (Ihrer!) festen Überzeugung, dass Sie in der Lage sind, auch schwierige Herausforderungen mit den Ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln erfolgreich zu bewältigen.
Vermeiden Sie es, übermäßige Angst oder Resignation zur Schau zu stellen – denn solche Emotionen übertragen sich schnell auf der Beziehungsebene zu Ihren Mitmenschen (Denken Sie an den Grundsatz von Paul Watzlawick „Man kann nicht nicht kommunizieren“).
Schreiten Sie Schritt für Schritt und mit viel Übung voran auf Ihrem Weg zu Authentizität in Krisensituationen, um sowohl innerlich als auch äußerlich souverän auftreten zu können – besonders in Momenten, in denen andere auf Ihre Stabilität angewiesen sind. SELBSTREFLEKTION IST HIER IHR SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG.
Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung von Bärbel Adamek, die Führungskräfte auf ihrem Weg zum Krisenmanager persönlich durch Trainings und Coaching begleitet.